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Dienstag, 1. Juli 2014

Tritt nicht auf die Gräber...

...ermahnte mich Junior, nachdem wir an einem regnerischen Samstagnachmittag im Juni auf dem halleschen Stadtgottesacker gelandet sind. Den Toten dürfte das egal sein, und Bepflanzungen auf Gräbern gehören hier erst seit 200 Jahren zur Sepulkralkultur. Das Einzige jedenfalls was Junior beeindrucken konnte, war die "Gegenwart" der Toten und das damit verbundene, mir gut bekannte, kindliche unheimliche Gruseln auf alten Friedhöfen.

Und alt ist er, der Stadtgottesacker. Über 450 Jahre und bis Mitte des 19. Jahrhunderts der einzige Friedhof der Stadt Halle. Angesichts der relativ kleinen Anlage mag das seltsam unwahrscheinlich klingen, jedoch war die Stadt Halle bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nicht größer als das was die innerstädtischen Ringstraßen heute umfassen (siehe Karte).

Quelle: http://www.hot-map.com/de/halle
Die Vorstädte hatten ihre eigenen Friedhöfe. Neumarkt im Norden an der Laurentiuskirche und Glaucha im Süden an der Kirche St. Georgen. Zudem wurden in späteren Jahrhunderten die Flächen des heutigen Stadtparkes neben dem Stadtgottesacker als Friedhof genutzt.

Angelegt wurde der Stadtgottesacker in Form eines italienischen Camposantos im Jahre 1557 auf dem Gelände eines Pestfriedhofes. Zu dieser Zeit entstand eine Art Hygienegedanke. Nachdem verheerende Epidemien, wie die Pest, wiederholt die Städte heimgesucht hatten, wollte niemand mehr mit den Opfern der Seuchen hinter einer Stadtmauer wohnen. Die städtischen Kirchhöfe wurden niedergelegt und neue Friedhöfe vor den Toren der Städte eingeweiht. So auch der hallesche Stadtgottesacker. Zur Geschichte, Architektur und Einzigartigkeit möchte ich mich hier nicht weiter auslassen und empfehle den sehr guten und umfangreichen Artikel in der Wikipedia oder noch besser Bauhütte Stadtgottesacker e.V.

Alle Rechte hier http://www.bauhuette-stadtgottesacker.de
Junior und ich hatten an diesem Regentag, einen Komplettrundgang um die, bis auf sehr wenige Teile nicht mehr vorhandene, Stadtmauer gemacht. Im Osten liegt dann etwas versteckt der Stadtgottesacker.
Südwestecke
Über der alten Stadt auf dem Martinsberg gelegen, dürfte der Stadtgottesacker mit seinen Hohen Mauern durchaus auch eine wehrtechnische Funktion besessen haben.Vor allem hatte man bestimmt, vor Beginn der gründerzeitlichen Bebauung der Stadt, eine herrliche Aussicht über Halle.

Ich war überrascht, als ich durch das Tor trat, war ich doch bestimmt 25 Jahre nicht mehr hier gewesen. Es ist nun einmal so, daß Sehenswürdigkeiten vor der eigenen Haustür immer konsequent ignoriert werden. Dabei hat Goethe ja recht, warum in die Ferne schweifen....




Aufblühen und Staubwerden, das ist das ewige Gesetz der Natur. Hoffet auf Morgenrot im Totental. Hier die Saat dort die Ernte.
Ende der 1980er Jahre war die Anlage in einem verwahrlosten Zustand. Schwere Kriegsschäden waren nur notdürftig repariert. An der Nordwestseite waren viele Grüfte durch Bombentreffer zerstört und fehlten völlig. Die Nutzungsrechte für die Gräber endeten 1984 und scheinbar hatte niemand ein Interesse an deren Erhaltung.
Alle Rechte hier: http://www.bauhuette-stadtgottesacker.de


Umso erstaunter war ich, den Stadtgottesacker als geschlossene Anlage wiederhergestellt zu sehen.  Der Stiftung Stadtgottesacker, dem Bauhütte Stadtgottesacker e.V und großzügigen Spendern sind es zu verdanken, den Stadtgottesacker wiederhergestellt zu sehen. Man darf sich sogar wieder hier beisetzen lassen, allerdings nur im Kolumbarium und wenn man mindestens 40 Jahre in Halle gelebt hat.



 Interessant, den Steinmetzen über die Schulter zu schauen.
 Man sieht die Sanierungsarbeiten sind längst nicht abgeschlossen. Von den schweren Kriegsschäden ist zumindest nichts mehr zu sehen. Die Lücken wurden geschlossen und die Gesamtanlage wieder hergestellt. Kleine Narben werden bleiben, wie die beiden Grabsteine auf den oberen Fotos zeigen, und das ist ganz gut so. Erinnern sie uns doch daran, nicht zu vergessen! Einen Besuch ist der Stadtgottesacker auf jeden Fall wert. Ich gehe demnächst nochmal, aber ohne Junior, dem war das verständlicherweise viel zu langweilig. Aber für einen Hobbyhistoriker wie mich, ist es interessant so viele Gräber von bekannten Persönlichkeiten aus fast 500 Jahren Stadtgeschichte zu entdecken.


 





 Wer also einen echt italienischen Camposanto sehen möchte, muß nicht unbedingt nach Italien reisen. Italien ist manchmal näher als man denkt.

Euer Wotan ;o)


Für Dina!

2 Kommentare:

  1. Oh wie wunderbar! Und dann noch dieser Name "Stadt-Gottesacker" - ich freu mich, dass dieser alte, geschichtsträchtige Friedhof restauriert wird und so der Nachwelt erhalten bleibt. Bestattungen gibt es hier ja bestimmt keine mehr.
    Schöne Bilder sind es auch geworden -trotz Regen.
    DANKE! :)
    Ja, das Gute liegt so nah. Ich war kürzlich auch auf dem Mainzer Friedhof und hab gedacht, dass ich da viel zu selten bin.

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  2. BITTE! ;) Erfreulicherweise wird ja seit ca. 10 Jahren wieder auf dem Stadtgottesacker bestattet. Allerdings nicht im Mittelfeld, also keine Erdbestattungen. Die "neuen" Grüfte dienen als Kolumbarien. Man kann seine Urne dort aufbewahren lassen. Allerdings nur: " wenn man mindestens 40 Jahre in Halle gelebt hat." (s.o.) ;)

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